Ich sitze in unserem Garten und warte auf den Regen. Warmer Regen und kalter Wind, unablässig aber nicht unaufhörlich. Zwischendrin blauer Himmel, der durch düster dunkle Wolken lugt und sich nur früh morgens und spät am Abend ganz unverhüllt zu zeigen traut. Ich werde bald Postkarten schicken.
Die letzte Woche war anstrengend. Nicht so sehr die Arbeit, bei der ich erstaunlich unproduktiv war, sondern viel mehr meine Zähne. Wieder einmal hat sich der rechte untere Weisheitszahn entzündet, wieder einmal war ich beim Zahnarzt. Meine Bitten um ein lokal angewandtes Antibiotikum wurden geflissentlich überhört. Man behandelte mich wie ein Kind – langsam redend, keine Sorge es tut nicht weh, ich will nur mal schauen, tut das weh? – und schrieb mir dann, wahrscheinlich aufgrund meines Gefasels von oben ein Antibiotikum auf. Penicillin, fünf Tage lang. Ich finde das etwas übertrieben, vor allem, weil es nicht halb so gut anschlägt, wie eine lokale Behandlung, hoffe aber trotzdem, dass die Entzündung weggeht. Nach eineinhalb Monaten fast dauerhafter Zahnschmerzen ist die Grenze dessen, was sich Ertragen lässt, langsam überschritten. Ich ignoriere es, so gut es geht und mache meinen Job. Unkonzentriert, wie wir alle.
Dazed, Kasparov, Blue und ich lenken uns gegenseitig von der Arbeit ab. Für einen Grafikdesigner hat Blue erstaunlich wenig Ahnung von Grafik und Design. Dazed und ich sind die einzig Unbezahlten und arbeiten am meisten, außer Monk. Der redet dafür soviel davon, wieviel er arbeitet, dass er nicht dazu kommt, wirklich viel zu machen. Würde er nach den Stunden bezahlt, die er im Büro verbringt, wäre er reich. Blue auch, auch wenn mir nicht klar ist, was er eigentlich macht. Flower ist wie immer unkonzentriert. Ich mag das Zusammenfließen von Privat- und Berufsleben, die seltsame Vermischung von Freizeit und Arbeit, die es einem ermöglicht, sich jeden Tag frohen Mutes aufs Neue in den Grabenkampf zu stürzen, in dem man, wenn überhaupt, ein paar Zentimeter vorwärts kommt, nur um dann unverhofft von den spontanen Bewegungen einer tektonischen Platte, deren Grenze irgendwo kurz vor unserem Büro verlaufen muss, wieder zurückgeworfen zu werden. Die Nichttrennung erlaubt es, die Arbeit als mein Privatleben zu betrachten. Das entspricht sehr meinem Verständnis von Leben und beugt, nach anfänglicher Eingewöhnungszeit an die monotonen Abläufe, der ansonsten vorprogrammierten Frustration vor. Die Abläufe habe ich, nachdem ich feststellte, das sowieso niemand eine Ahnung davon hat wie die Dinge laufen sollen, einfach nach meinen Vorstellungen adaptiert. Außerdem suche ich mir drei bis vier Tätigkeiten gleichzeitig – ich kann unterbrechen und wiederaufnehmen was und wann ich will, solange ich alles rechtzeitig schaffe. Damit hatte ich nun noch nie ein Problem.
Man zeigt mir viel, lässt mich viel machen und auch verbessern – wobei wahrscheinlich nur ich das für eine Verbesserung halte. Da es aber auch eigentlich nur mich und die Aufbereitung des Ergebnisses betrifft, stört sich niemand daran. Es ist entspannt und trotzdem spannend.
Diese Woche wird anstrengend. Kommendes Wochenende ist das Festival, und bedingt durch besagte tektonische Verschiebungen und daraus resultierende kleinere Erderschütterungen geht nicht alles nach Plan. Sie beschreiben das hier liebevoll als Chaos – aber ich habe festgestellt, dass mich die bühne auf mehr vorbereitet hat, als ich dachte. Es lässt mich kalt. Ich mache meinen Job, versuche einen Überblick zu behalten und denke mir: Wir sind super in der Zeit. Wirklich Jungs, kein Grund zur Panik.
Ich freue mich immer, wenn Dazed reinkommt. Wir verstehen uns gut, waren letzten Sonntag auf Pfefferminztee und Cola im Trof und haben uns wunderbar unterhalten. Literatur, lästern, lachen – es ist schön, wenn man alle drei L mit einem Gesprächspartner abdecken kann, ohne ständig auf seine Wortwahl achten zu müssen.
Weggehen oder sehen tue ich nicht viel. Einmal in der Woche mit den Jungs von der Arbeit, das ist dann mein Alkoholtag. Ansonsten bleibe ich daheim. Ich stehe um halb acht auf, bin um zehn auf der Arbeit, gehe so gegen sieben oder später und dann noch einkaufen. Fahre heim, koche, füttere die Katzen, lese oder sehe fern und bin gegen zwölf im Bett. Mein Tag.
Am Anfang fand ich diese Ereignislosigkeit, diese Leere etwas bedrückend. Letztendlich ist das hier aber Arbeit, und kein Urlaub. Die Stadt erkunden und in jedes Museum rennen, jeden Abend eine andere Bar besuchen und in Nachbarstädte fahren – all das mache ich gern mit euch, wenn ihr mich besuchen kommt. Alleine und nach einem Tag Arbeit liegt mir nichts daran. Die Museen machen sowieso um fünfe zu, wie fast alle Läden auch. Am Wochenende bin ich meist einen Tag unterwegs – Innenstadt, Chorlton, aber nie etwas ‚Großartiges’, was auch immer das sein soll. Ich lebe hier. Ich bin hier nicht auf Urlaub. Ich habe meine Routine und finde das ganz beruhigend so.
Ja, ich bin langweilig. Aber das war noch nie anders. Ich störe mich nicht an einem Wechsel der Umgebung, eben weil sie mich im Grunde so wenig interessiert. Ich will ein Bett, einen Herd, einen Kühlschrank, Bücher, Computer und ein Wochenticket für den Bus. Danke, das wär’s. Nein, ich möchte keine Scheibe Bärchenwurst.
Das Einzige, was mich ein wenig stört ist, dass so wenig Zeit zum Schreiben bleibt. Natürlich hätte ich die Abende, aber da möchte ich nicht vor einem Bildschirm sitzen oder auch nur groß nachdenken – nicht fokussiert, jedenfalls. Ein paar Haltestellen eher aussteigen, beobachten, treiben lassen, all das ist viel angenehmer als einen Gedanken von A bis Z zu verfolgen, ihn niederzuschreiben und in eine präsentable Form zu bringen. Hier ist das nicht so wichtig, aber Sundays at the Supermarket liegt wohl erst einmal brach. Ich muss wieder lernen, kurze Gedanken aufzuschreiben und sie hinterher durchzugehen – aber es wirkt einfach ein bisschen bescheuert, wenn jemand im Bus zur Rush Hour plötzlich ein Notizbuch zückt, aus dem Fenster starrt, kritzelt, weiterstarrt und es dann wieder einsteckt. Ja wer bin ich denn? Mister William Fucking Shakespeare?
Eigentlich schade, denn es gibt hier viel, was mir durch den Kopf geht. Vieles lässt sich auf Deutsch vielleicht nicht ausdrücken. Das Englische ist in der Beschreibung der englischen Kultur einfach adäquater.
(Ach ja, und tut mir einen Gefallen: Wenn ihr ein Wort nicht kennt, das den Sinn der Satzes nachhaltig zu beeinflussen scheint, dann schaut es nach. Hier zum Beispiel. Denn nichts ist ermüdender, als mit jemandem zu reden, der etwas a) falsch verstanden hat, und b) nicht davon abzubringen ist. Das geht an niemanden Bestimmtes, ist mir aber wichtig. Sprache und Kommunikation sind so schon fehlerhaft und von Störgeräuschen belastet genug. Man muss nicht alles verstehen. Man darf fragen. Ich mache das ständig – und es funktioniert. Ansonsten gibt es hier ja auch viel in Deutsch, was gar nicht so geplant war, angesichts meiner Leserschaft (so ich denn welche habe) aber sinnvoll erscheint.)
Ich weiß nicht, ob es heute noch was wird, aber unter* diesem Beitrag werden sich demnächst noch mehrere finden. Ich habe ja lange genug nicht wirklich etwas erzählt.
*Also wirklich unter, denn das hier ist ja so was wie eine Einleitung. Muss der Leser halt mal scrollen.
2 comments:
Beste! Du hast Leser! Mich zumindest. Und sobald ich durch anhaltendes Gekicher und Geschnaube den Rest des Computerraumpersonals interessiert gemacht habe, bestimmt auch mehr.
Ja.
Ich arbeite dran.
Ich hab ein Super-Zitat von Kleist bezüglich der effektivität von Sprache irgendwo rumliegen, das ich dir schicken muss - nur leider find ichs grad nicht. Aber bald. Bestimmt.
Ja.
Ich denk an dich und meld mich wieder.
Viel Freude.
Hermann.
Ach Fuck...
Effektivität. Mit großem E.
Na ja. Muss ja nicht denken können, nur auswendig lernen.
Bis bald.
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